Abweichung von eigener Rechtsprechung und europarechtswidrig!
KG, 22.02.2021 – 2 U 13/18 – EversOK
Streitfall
Nach rund zehnjähriger Zusammenarbeit hatte der Unternehmer seinem Vertreter mit der Begründung fristlos gekündigt, der Vertreter habe versäumt, darüber zu informieren, dass seine Ehefrau für einen Wettbewerber tätig werden wird. Die Ehefrau hat die Tätigkeit am 1. April aufgenommen. Die Kündigung erfolgte am 16. Juni. Das Landgericht sah die Kündigung als wirksam an. Das OLG erkannte zwar, dass sie nicht fristgemäß erfolgt war, schloss den Ausgleich aber dennoch aus und wies die Berufung mangels Erfolgsaussicht durch Beschluss zurück.
Entscheidungsaussagen
Mit dieser Entscheidung wird erstmals die Auffassung vertreten, § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB schließe den Ausgleich des Handelsvertreters auch aus, wenn der Unternehmer die Kündigung erst nach Verstreichen der Überlegungsfrist erkläre und der Vertretervertrag anschließend ende. Unter dem Aspekt einer aus der Interessenwahrungspflicht abgeleiteten Marktbeobachtungspflicht sah das OLG den Vertreter als verpflichtet an, den Unternehmer darüber zu unterrichten, wenn seine Ehefrau in ein Vertreterverhältnis zum Hauptkonkurrenten eintritt. Die Verletzung der Berichtspflicht stelle eine Störung im Vertrauensbereich dar, die den Unternehmer ohne Abmahnung zur Kündigung des Handelsvertervertrages aus wichtigem Grund berechtige.
Kommentar zum Urteil des Kammergerichts
Die Entscheidung weist so schwerwiegende Mängel in der Begründung auf, dass Sie Anlass gibt, vor einer Verwertung für die Praxis zu warnen.
Das OLG weicht von seiner eigenen Rechtsprechung (KG, 15.09.1994 LS 4 m.w.N.) ab, indem es eine unwirksame Kündigung für den Ausschluss des Ausgleichs ausreichen lässt. Ferner übersieht das OLG, dass eine unberechtigte außerordentliche Kündigung des Vertretervertrages in ein Angebot umzudeuten ist, die Zusammenarbeit zu beenden (OLG München, 27.07.1994 LS 1 m.w.N.), so dass der Vertrag im Falle einer unter Zurückweisung der unberechtigten außerordentlichen Kündigung erklärten fristlosen Kündigung des anderen Teils kraft Aufhebungsvertrages beendet wird (BAG, 13.04.1972 LS 12; im Einzelnen dazudie Anm. 70.1 ff.). Die ohnehin eng auszulegenden Ausschlusstatbestände des Art. 18 lit. a RiLi 86/653/EWG (EuGH, 28.10.2010 LS 11 – Volvo 5 -) und des § 89 b Abs. 3 Nr. 2 HGB (BGH, 05.11.2020 LS 8) konnten bei diesen Gegebenheiten gar nicht eingreifen, weil sie voraussetzen, dass der Unternehmer den Vertretervertrag beendet.
Aus dem Blickwinkel einer Marktbeobachtungspflicht erscheint zweifelhaft, ob die Information, dass die eigene Ehefrau in ein Vertreterverhältnis zum Wettbewerber tritt, vom Vertreter geschuldet sein kann. Jedenfalls hat der Senat keine über unverlässliche Marktgerüchte hinausgehenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, dass der Vertreter im Streitfall aus anderer Quelle als seinem Eheverhältnis erfahren haben konnte, ob und wann seine Ehefrau in die Dienste des Konkurrenten tritt. Das Verständnis des Senats vom Inhalt der Berichtspflicht seht in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Schutz von Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG (vgl. OLG Schleswig, 18.01.1994 LS 32 – McDonald’s 2 -). Überdies fragt sich, wie die Übermittlung des personenbezogenen Datums der Ehefrau, dass und wann diese in ein Vertreterverhältnis zu einem Wettbewerber tritt, mit der Vorschrift des Art. 6 Abs. 1 DS-GVO in Deckung zu bringen sein soll. Jedenfalls hat der Senat keine tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, dass und aus welchen Gründen die Datenverarbeitung gerechtfertigt wäre.
Die Annahme, bei der Verletzung der Berichtspflicht handele es sich um eine Störung im Vertrauensbereich, wird nicht durch tatsächliche Feststellungen getragen. Ersichtlich übte die Ehefrau keine Strohmannfunktion aus, da Sie seit vielen Jahren selbst in der Branche tätig war, zunächst als Untervertreterin und später als Verkaufsleiterin, so dass Anhaltspunkte für eine Vertrauensstörung unter dem Gesichtspunkt des Vorschiebens eines Angehörigen (vgl. OLG Frankfurt/Main, 21.01.1986 LS 26 m.w.N. – Volvo 1 -) nicht gegeben waren. Der Senat hat auch keine Tatsachen dafür festgestellt, dass der Vertreter gemeinsam mit seiner Ehefrau kollusiv zu Lasten des Unternehmers hätte handeln wollen. Unter dem Aspekt einer Wiederholung konnte ein Vertrauensverlust von vornherein nicht gegeben sein.
Fazit
Es ist unverständlich, wie ein OLG-Senat, der sich rund 3 Jahre Zeit gelassen hat für die Entscheidungsfindung, übersehen kann, dass der BGH nur drei Monate vor Spruchtermin ausdrücklich untersagt hat, Ausschlusstatbestände des § 89 b Abs. 3 HGB erweiternd auszulegen. Noch unbegreiflicher ist, dass der Senat sich nicht kritisch mit der eigenen Spruchpraxis auseinandersetzt, von der er abweicht. Unverantwortlich mit Blick auf unreflektierte Folgentscheidungen erscheint es, wenn ein Obergericht eine völlig unzureichend geprüfte Rechtsauffassung durch amtlichen Leitsatz herausstellt. Den größten Schaden aber richtet an, wer im Beschlusswege nach § 522 ZPO entscheidet: Denn dies schneidet der unterlegenen Partei die Rechtsschutzmöglichkeiten ab. Dabei hätte der Senat dem Vertreter die Chance einräumen müssen, die Entscheidung prüfen zu lassen, zumal die einmalige Verletzung der Berichtspflicht nach höchstrichterlicher Rechtsprechung nicht zur Kündigung aus wichtigem Grund berechtigt (BGH, 18.02.1982 LS 8).
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